ARCHIV: FIEBERTRÄUME IM EINMACHGLAS

nach Heimito von Doderer

 

 

Produktion des THEATERS OHNE FURCHT UND TADEL, Wien

Leitung: Sonja Graf und Markus Hummel

Mit: Sonja Graf, Markus Hummel, Robert Stuc

Bezirksmuseum Alsergrund/Heimito-von Doderer- Gedenkstätte, Wien, Oktober 2024

 

„Aus der Nähe gesehen aber waren diese Würmer Kolonnen von großen Wanzen, die in Vierer-Reihen auf den Hinterbeinen gingen. Ordner begleiteten in Abständen links und rechts den Zug. Diese Ordner, besonders fett und rot, waren durch eine lange glitzernde Schnur verbunden, die aus zahllosen aneinander gehefteten kleinen Büro-Klammern bestand […]“ 

 

Erst mit der Pensionierung und mit dem Erwerb eines Fernrohres aus zweiter Hand setzt in letzter Konsequenz die „Menschwerdung“ des Amtsrates Julius Zihal ein, worauf auch der Untertitel des 1939/40 geschriebenen Doderer-Romans „Die erleuchteten Fenster“ verweist. Die Rente, der Sturz aus der Höhe des Beamtentums, und der voyeuristische Blick auf das Leben in den gegenüberliegenden Wohnungen ermöglichen Zihal zunächst die verzerrte Projektion seiner Phantasmen auf die gewöhnliche Alltagswelt. Dabei verschmelzen sexuelle Fixierungen mit lebenslang eingeübten Amtsprinzipien und beruflichen Praktiken und steigern sich in Zihals überbordender Registriersucht und in seinem grotesken Vollständigkeitswahn, denen er die Objekte seiner Beobachtungen unterwirft. Gefangen in seiner Vorstellungswelt erschafft sich der pensionierte Beamte eine zweite, dämonische Wirklichkeit des Totalitären, die letztlich der gegebenen Realität des Faktischen nicht standhalten kann. Die Verbindung von sexueller und politischer Befangenheit – oder Ideologie – thematisiert Heimito von Doderer auch in seinen „Dämonen“, erweitert in der sozialen und politischen Dimension, die bei ihm schließlich in der Schilderung der bürgerkriegsähnlichen Tumulte um den Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 mündet. Im Fokus des Interesses steht hierbei weniger eine besondere Boshaftigkeit als vielmehr die abgründige Undurchschaubarkeit der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Naturen beiderlei Geschlechts, denen der Autor mit hartnäckiger Beobachtungsgabe und prägnanten Beschreibungen zu Leibe rückt. Nicht zuletzt besticht Doderers Panoptikum durch seinen skurrilen Humor und seine bis ans Surreale grenzende, paradoxe Vorstellungskraft.   

Heimito von Doderer (1896 – 1966) zählte am Ende seines Lebens zu den bedeutendsten, österreichischen Schriftstellern von internationalem Renommee. Im öffentlichen Bewusstsein geriet er jedoch zunehmend in Vergessenheit, zumal er sich politisch schwer verorten lässt und sich mit seinem tiefgründigen, komplexen Schaffen erst relativ spät durchsetzen konnte.

 

Das Theater ohne Furcht und Tadel schlüpft mit „Fieberträume im Einmachglas“ durch die Ritzen einiger Auszüge in den panoramahaften, universalistischen Kosmos des Dichters und folgt seinen Spuren nicht nur „durch einen verborgenen Eingang in die schattige Unterwelt des Vergangenen“, sondern mehr noch den irrlichternden Funken seiner aberwitzigen Phantasie.

 

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