ARCHIV: Nachtgesichte. Murnaus SCHATTEN.

ENTFESSELTE TRÄUME

von Sonja Graf

 

 

Spiel & Leitung: Sonja Graf und Markus Hummel

An der Geige u.a.: Zeldo Djukelich

Gesang: Talel Elkouki

Im Amphitheater im Englischen Garten, Sept. 2022

 

„Wie verzeichnet man die Apokalypse. Die unausweichliche Katastrophe. Wie zeigt man die auf. Das Beben unter der Erde. Das Donnern und Krachen, das herannahende Stampfen, die Erschütterung hinter einem strahlenden Himmel. Wie erfasst man das. Ohne, dass das Bild zerbricht. Im Gegenteil. Dass es sogar noch erhalten bleibt. Und von innen heraus spricht. Wie offenbart man das Leben hinter den Dingen. In einer Welt, in der nichts mehr ist, wie es sein sollte. In einer Welt, in der nichts jemals so war, wie es hätte sein können. Nämlich ideal. Das Bild zusammenzuhalten, trotz des Bebens dahinter, erfordert eine ungeheure Kraft. Viel ungeheuerlicher als die Gewalt der Zerstörung. Die Härte der Form. Die Schärfe eines gültigen Gedankens. Seit ich gepackt habe, träume ich schlecht.“

 

Märzwetter. Schneeregen. Durch die Abenddämmerung schleppen zwei vermummte Gestalten einen ungewöhnlich langen und schweren Sarg. Doch sie versenken ihre Last nicht wie gewohnt in der Erde, sondern platzieren sie in einem weitläufigen und anonymen Hotelzimmer. Irgendwo in Los Angeles. Anfang der 1930er Jahre. Aus dem Halbdunkel der Suite beobachtet einer der legendärsten Pioniere des expressionistischen Stummfilms, der sich außerdem gerade im Bruch mit Hollywood befindet, seine eigene Beerdigung. Die geplante Europareise wird F. W. Murnau nicht mehr antreten. Durch die Wände brechen die Gestalten seiner Filme, die Lemuren einer mit den Mitteln der Kunst gebannten Realität. Murnaus dramatische Erfindungen geistern lautlos durch die Szenerie, während die Leinwandgrößen, die kleineren und größeren Sterne des alten deutschen Films, ohne Unterlass reden - zumeist von sich selbst und beinahe nie von dem, was ihnen die Phantasie des Regisseurs diktiert. Dennoch bemächtigen sich Murnaus Schatten des Geschehens: der unstete Untote Nosferatu vermodert nicht in seiner Gruft, sondern hat sich längst unauflöslich an die Fersen des Darstellers Max Schreck geheftet, um an dessen Stelle dem prädestinierten Opfer Greta Schröder nachzujagen; Adele Sandrock wird von einem Satanisten hofiert; wohingegen ein pyromanischer Mephisto statt Emil Jannings in Marthes Garten zündelt. Ein Theaterstück über die Kunst des Films hinter dem Fluchtpunkt der Illusionen...

 

Das Theater des hölzernen Gelächters zeigt mit der Uraufführung von „Nachtgesichte. Murnaus Schatten. Entfesselte Träume“ ein absurdes Spiel über das Ringen um verlorene Gewissheiten und den künstlerischen Aufbruch in einer Welt im Taumel. In der Poesie des Textes überlagern einander die Ebenen der Zeit, des Traumes und der Wirklichkeit.

 

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